Spektakuläre Mordfälle und ihre Dokumentation im Staatsarchiv Ludwigsburg

Mordakte Ludwigsburg

Mehrseitiger Artikel

Vom grausamen Mörder zum Dichter

Schreiben des Oberlehrers Wagner an das Mannheimer Nationaltheater
Unzählige Briefe hat Ernst Wagner geschrieben, um seine in der Psychiatrie verfassten Dramen auf die Bühne zu bringen. Auch das Mannheimer Nationaltheater bekam Post aus der Heilanstalt.
Foto: Alfred Drossel, LKZ


September 1913. Die Abendsonne schickt ihre letzten Sonnenstrahlen auf die Terrasse der Familie Wagner in Degerloch. Ernst Wagner genießt mit seiner Frau und den vier Kindern den lauen Spätsommerabend. Doch die Idylle trügt: Wagner hat seit Jahren einen grausamen Plan im Kopf, den er an diesem Abend in die Tat umsetzen wird. Mit einem Totschläger und einem Messer ermordet er seine Frau und seine vier Kinder. Dann greift er zur Pistole und holt aus dem Keller den mit Munition voll gestopften Rucksack, den er bereits vor Tagen gepackt hat. Er schwingt sich in den Sattel seines Rades, fährt nach Stuttgart und von dort mit dem Zug weiter nach Mühlhausen bei Vaihingen/Enz. Um Mitternacht zündet er die Ortschaft an allen vier Ecken an. Er versteckt sich, die Pistole im Anschlag. Er wartet, bis die Menschen vor den Flammen flüchten und schießt dann wahllos auf die Fliehenden. Er tötet zwölf Menschen, acht weitere werden schwer verletzt. In derselben Nacht wird Wagner überwältigt und ins Gefängnis nach Heilbronn gebracht. Ermittler finden in seinem Haus in Degerloch Wagners Tagebuch. Dort beschreibt er detailliert seinen grausamen Plan, der mit dem Blutbad in Mühlhausen für ihn noch nicht beendet war.

Wäre Wagner aus Mühlhausen die Flucht gelungen, hätte er in Ludwigsburg weitergemordet. Sein nächstes Ziel wäre Eglosheim gewesen, wo seine Schwester mit ihrer Familie wohnte. So wie seine Frau und seine eigenen vier Kinder sollten auch sie nicht mehr weiter leben.

Sein eigenes Leben wollte Wagner zum Finale beenden - inszeniert wie in einem schlechten Hollywoodstreifen: Das Schloss wollte er anzünden und danach im Bett des Herzogs Carl Eugen die Waffe gegen sich selbst richten.

Vor dem Landgericht in Heilbronn wird Wagner der Prozess gemacht. Schnell sind sich die Gutachter einig: Wagner leidet an Verfolgungswahn. Zwei voneinander unabhängige Gutachten der damals führenden Psychiater Deutschlands - Robert Wollenberg aus Straßburg/Elsass und Robert Gaupp aus Tübingen - bestätigen dies.

Jahre zuvor hatte sich Wagner in Mühlhausen an einer Kuh vergangen. Er war überzeugt davon, so die psychologischen Gutachter, dass allen Mühlhausenern das schreckliche sexuelle Abenteuer bekannt gewesen sei. Spätere Zeugenaussagen widerlegten jedoch diesen Verdacht Wagners. Die Psychologen stuften den Degerlocher Lehrer als nicht zurechnungsfähig ein. Auch deswegen schrieb der Fall Wagner Geschichte - denn erstmals wurde damals in der Württembergischen Geschichte ein Prozess wegen Unzurechnungsfähigkeit eingestellt. Ernst Wagner wurde am 4. Februar 1914 in die Heilanstalt Winnentahl eingeliefert.

In der Psychiatrie entwickelt sich Ernst Wagner zum Dichter. Er schreibt mehrere Dramen. Sie alle haben etwas gemeinsam: Es geht um Wahn. Wagner ist von seinem Können fest überzeugt und will ein Stück auf die Bühne bringen.

Er schreibt an den Direktor des Nationaltheaters in Mannheim, immerhin wurde dort Schiller aufgeführt. Wagner sah so für sein Werk - ebenfalls das eines Schwaben - gute Chancen. Mit Gott und der Welt soll der Mann korrespondiert haben, der sein Lebensende in der Winnender Psychiatrie fand: 1938 starb er dort an Lungentuberkulose.

Der Artikel wurde am 30. April 2005 in der Ludwigsburger Kreiszeitung veröffentlicht. Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung der LKZ.

Akteneinsicht

Die Akte kann im Staatsarchiv Ludwigsburg unter den Signaturen F 209 Bü 138 u. 727, F 235 II Zug 2001/39 Nr. 4691 bestellt und eingesehen werden. Der Lesesaal ist unter der Telefonnummer 07141/18-6337 erreichbar.