Lückenschluss: Landesarchiv stellt Entnazifizierungsunterlagen aus Frankreich online
Entnazifizierungsakten gehören zu den zentralen Quellen zur Erforschung der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft. Die Abteilung Staatsarchiv Freiburg des Landesarchivs verwahrt etwa 230.000 Einzelakten aus Südbaden. Ein kleinerer Teil der Entnazifizierungsunterlagen aus der französischen Besatzungszone verblieb nach 1945 jedoch bei der französischen Militärregierung. Sie wurden 2010 in das Archiv des französischen Außenministeriums in La Courneuve bei Paris verlegt, wo sie sich auch heute noch befinden. Diese Dokumente haben das Landesarchiv Baden-Württemberg und das Diplomatische Archiv in Frankreich in einem grenzüberschreitenden Projekt digitalisiert und online zugänglich gemacht. Die Stiftung Kulturgut des Landes Baden-Württemberg hat das Vorhaben mit rund 384.000 Euro gefördert.
Prof. Dr. Gerald Maier, Präsident des Landesarchivs, sagte dazu: „Dieses Projekt ist einzigartig in der deutschen Archivlandschaft. Gemeinsam mit unserem französischen Partner ist es uns gelungen, einen zentralen Unterlagenkomplex zur Entnazifizierung in Baden-Württemberg, der seit der Nachkriegszeit auf zwei Länder verteilt ist, digital zusammenzuführen. Die Quellen versprechen neue Erkenntnisse zur Geschichte Baden-Württembergs während des Nationalsozialismus bis in die unmittelbare Nachkriegszeit.“
Petra Olschowski, Wissenschaftsministerin und Vorsitzende der Stiftung Kulturgut Baden-Württemberg, zeigte sich erfreut: „Frankreich ist im Kulturbereich seit Jahrzehnten ein wichtiger und verlässlicher Partner für Baden-Württemberg. Es ist daher eine sehr gute Nachricht, dass das Diplomatische Archiv in La Courneuve und das Landesarchiv ihre wegweisende Kooperation erfolgreich abgeschlossen haben. Der Zugang zu den Unterlagen zur Entnazifizierung in Südbaden ist damit sehr viel einfacher geworden. Für die personenbezogene Erforschung der NS-Zeit ist das ein großer Gewinn.“
Dr. Christof Strauß, Leiter des Staatsarchivs Freiburg, hob hervor: „Die Onlinestellung der rund 1,5 Millionen Digitalisate macht den Bestand an Spruchkammerakten im Staatsarchiv Freiburg komplett. Sie ermöglicht nicht nur Einsicht in die Entnazifizierungsverfahren von prominenten Personen, sondern auch in die Verfahren von Funktionsträgern des NS-Staates auf regionaler und lokaler Ebene. Darüber hinaus lässt sich anhand der Unterlagen das Verfahren der Entnazifizierung in der französischen Besatzungszone noch detaillierter untersuchen.“
Der in Frankreich verwahrte Bestand umfasst Unterlagen zu allen über einen längeren Zeitraum von der französischen Militärverwaltung internierten Personen, darunter beispielsweise zum späteren Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer. Außerdem enthält der Bestand Akten von prominenten Persönlichkeiten wie dem Philosophen Martin Heidegger und von NS-Funktionsträgern wie dem Leiter der Straßburger Gestapo, Julius Gehrum, oder Dietrich von Choltitz, General und ab 1944 Stadtkommandant von Paris. Dazu kommen Akten von im Entnazifizierungsverfahren als „hauptschuldig“ eingestuften Personen, darunter der Lagerarzt des Konzentrationslagers Buchenwald, Waldemar Hoven. Auch die Bemühungen der französischen Behörden, die ersten, mild ausgefallenen Spruchkammerbescheide für Leni Riefenstahl revidieren zu lassen, sind in dem Bestand überliefert.
Diese bedeutenden Akten waren bisher nur vor Ort im Lesesaal des Diplomatischen Archivs in La Courneuve einsehbar. In einem grenzüberschreitenden Kooperationsprojekt wurden seit 2021 die 90 laufenden Meter Unterlagen digitalisiert, darunter etwa 7.000 umfangreiche Einzelfallakten. Das Archiv in Frankreich hat die insgesamt rund 1,5 Millionen Digitalisate dem Staatsarchiv Freiburg zur Verfügung gestellt. Dort wurde das Material erschlossen, für die Nutzung aufbereitet und in einem letzten Schritt online gestellt.
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