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Virtuelle Ausstellung für Jugendliche mit Originaltexten zum Anhören
"Fremd geblieben und ohne wirkliche Heimat" —
Die Geschichte der Auswandererin Dorothea Schäfer aus Sindelfingen
Heute wie damals faszinieren Schicksale von Auswanderern. Ob vor Krieg und Hunger flüchtende Familien oder Abenteurer, die in einem verheißungsvollen neuen Land ihr Glück versuchen wollen. Wie fühlen sich Migranten, die die Vertrautheit der Heimat aufgeben und in eine neue, unbekannte Welt aufbrechen? Die virtuelle Ausstellung erzählt u.a. mithilfe von Originalakten in Bild und Ton die Geschichte der Dorothea Schäfer aus Sindelfingen, die 1847 mit ihrer Familie nach Siebenbürgen aufbrach und 1850 als Witwe wieder zurückkehrte.
Die hier vorgestellten Bilder, Texte und Audios wurden im Sommer 2007 von Rebekka de Buhr im Rahmen ihres Freiwilligen Kulturellen Jahrs im Staatsarchiv Ludwigsburg zusammengestellt.
Der Weg der Familie Schäfer nach Siebenbürgen
Siebenbürgen als Ziel
Um 1848/49 brachen viele Familien in eine neue Welt auf. Viele Emigranten zog es in den Südosten — nach Siebenbürgen im heutigen Rumänien. Siebenbürgen war schon seit dem Mittelalter ein Einwanderungsland deutscher Kolonisten. Sie wurden angeworben, um die leeren Gebiete zu besiedeln, die Grenzen zu sichern und die Wirtschaft zu beleben. Diese Einwanderer wurden fälschlicherweise "Siebenbürger Sachsen" genannt, obwohl dieser Begriff nichts mit ihrer Herkunft zu tun hatte.
Im Mittelalter gehörte Siebenbürgen zum Königreich Ungarn, ab 1526 war es ein selbstständiges Fürstentum unter osmanischer Oberherrschaft und ab 1711 übernahm Österreich die Kontrolle über Ungarn und Siebenbürgen. Bei der Revolution 1848 lehnte sich Ungarn mit Siebenbürgen gegen Österreich auf, scheiterte jedoch und fiel unter österreichische Militärverwaltung.
Familie Schäfer brach von Württemberg (hellgrün) aus auf. Sie durchquerte Bayern (blau) und gelangte von dort in das Kaiserreich Österreich (gelb). Im Osten des österreichischen Kaiserreichs siedelten sie sich in Siebenbürgen (Transsylvanien) an.Karte Österreichs (Ungarn, Siebenbürgen) 1848 rote Sterne: Aufstände
Die Auswanderer und die Situation in Europa
Durch die Industrialisierung wandelte sich die wirtschaftliche Situation in Europa. Württembergische Handwerker hatten es immer schwerer Arbeit zu finden und wurden somit auf den südosteuropäischen Raum aufmerksam.
Das landwirtschaftliche Südosteuropa bot für viele aussterbende oder überbesetzte Berufe noch reelle Aufstiegschancen. Und so zog es viele Württemberger in das Kaiserreich Österreich.
Der 36jährige Sindelfinger Weber Johann Adam Schäfer ersuchte 1847 um die Auswanderung seiner Familie nach Siebenbürgen und musste somit auch auf das württembergische Staatsrecht verzichten. Das Oberamt Böblingen genehmigte schließlich die Auswanderungspläne und entließ Adam Schäfer und seine Familie aus dem württembergischen Staatsverband. Kurz darauf brachen die Schäfers mit ihren zwei Kindern zu ihrem großen Abenteuer Auswanderung auf.
Die Rückkehr und die ungarische Revolution
Während den Revolutionsunruhen 1848/49 in Europa kam es in Ungarn zur Revolution gegen die regierenden Habsburger. Am 14. April 1849 trat der ungarische Reichstag zusammen und die Entthronung des Hauses Habsburg und die Unabhängigkeit Ungarns wurde verkündet.
Mit Russlands Hilfe schlug Österreich den ungarischen Freiheitskampf im August 1849 blutig nieder und eine Phase der Unterdrückung folgte.
Im Herbst 1850 kehrte Dorothea Schäfer mit einem 2-jährigen Kind nach Sindelfingen zurück.
Sie erklärte:Sindelfingen, Auszug aus dem Gemeinderatsprotokoll vom 8. Februar 1851 (StAL F 157, Bü 99i)
Fremd geblieben ohne wirkliche Heimat: Die Rückkehr
Der_Fall_Schäfer_Rückkehr.mp3 (mp3/698.82 kB)
Die Ausreise mit einem Reisepass
Das Großfürstentum Siebenbürgen befand sich nach der Niederwerfung der ungarischen Revolution von 1848/49 durch russische Truppen, die der bedrängten österreichischen Armee zu Hilfe eilten, noch immer im Ausnahmezustand.
Der Reisepass für die Rückkehr wurde Dorothea Schäfer am 21. Juni 1850 in Hermannstadt ausgestellt. Da der Pass die Heimkehrerin als Witwe anführte, bestand für die Verwaltungsbehörde kein Zweifel, dass Adam Schäfer tatsächlich in den Wirren der Revolution gestorben sei.Der Oesterreichisch-Kaiserl. Königl. Reisepass wurde am 21. Juni 1850 von Generalfeldmarschall-Leutnant Freiherr Ludwig von Wohlgemuth ausgestellt. (StAL F 157, Bü 99i)
Die Heimatlose und das Staatsbürgerrecht
Nach der geltenden Rechtslage waren rückkehrende ehemalige württembergische Staatsbürger bis zu ihrer Wiederaufnahme in das Staatsbürgerrecht als Fremde zu behandeln.
Das Bürgerrechtgesetz bestimmte nämlich, dass Ausländer nur beim Nachweis eines Vermögens von 1200 Gulden in Gemeinden zweiter Klasse entsprechend der württembergischen Verwaltungsordnung aufgenommen werden konnten.
Nach ihrer Rückkehr versuchte Dorothea Schäfer immer wieder Gemeindebürgerin zu werden. Sie unterstützte ihren Antrag mit der Erklärung, dass sie mit ihrem geerbten Vermögen in der Lage sei, ohne Unterstützung der Gemeinde, ihr Kind und sich selbst zu versorgen.
Dorothea Schäfer konnte jedoch die Summe von 1200 Gulden nicht aufbringen und somit waren der Gemeinderat und Bürgerausschuss von Sindelfingen nicht bereit Dorothea Schäfer als Gemeindebürgerin anzuerkennen.
Neue Hoffnung auf eine Heimat
Doch es gab wieder Hoffnung: Die Stadtgemeinde wollte sich unter bestimmten Voraussetzungen dazu bereit erklären, der Heimkehrerin den Aufenthalt in ihrer ehemaligen Heimatstadt zu erlauben.
Zum einen müsste man dafür Dorothea Schäfer an die Stadtgemeinde durch die zuständige Behörde, dem Oberamt Böblingen, zuteilen. Und zum anderen müsste die "übergeordnete Gebietskörperschaft" zwei Drittel der finanziellen Unterstützung Schäfers übernehmen, falls die Rückkehrerin der Gemeinde zur Last fallen sollte.Sindelfingen, Auszug aus dem Gemeinderatsprotokoll vom 8. Februar 1851 (StAL F 157, Bü 99i)
Fremd geblieben ohne wirkliche Heimat: Neue Hoffnung
Der_Fall_Schäfer_Neue_Hoffnung.mp3 (mp3/757.59 kB)
Die fehlenden Beweise durch die Behörden
Nachdem sich die Suche nach den Papieren in die Länge zog, konzentrierten sich die Behörden auf die Schilderung der Situation Dorothea Schäfers.
Sie fragten sich, ob sie Dorothea glauben könnten, da sie keinerlei Beweise für ihre Aussagen habe. Dorothea Schäfer habe zwar erklärt, dass das Kind mit ihrem verstorbenen Mann gezeugt wurde, dies aber nicht belegt, da sie keine Dokumente hat.
Das eigene sei, dass sie in ihrem Passe als Witwe bezeichnet wird.Oberamt Böblingen, 15. März 1854 (StAL F 157, Bü 99i)
Fremd geblieben ohne wirkliche Heimat: Fehlende Beweise
Der_Fall_Schäfer_Fehlende_Beweise.mp3 (mp3/568.21 kB)
Ein neuer Weg
Hoffnung durch eine Vernehmung
Die Ludwigsburger Kreisregierung erteilte dem Böblinger Oberamt am 9. Mai 1851 den Auftrag, die Umstände der Rückwanderung aus Siebenbürgen durch Vernehmung der Betroffenen festzustellen. Die obere Mittelbehörde gab auch die zu klärenden Fragen vor.
Sämtliche Aussagen der Antragstellerin waren somit auf einmal in Frage gestellt. Die Erledigung wurde als dringlich eingestuft: Sofort sei in der Sache weiter zu berichten.Oberamt Böblingen, 12. Mai 1851 (StaA F 157, Bü 99i)
Fremd geblieben ohne wirkliche Heimat: Ein neuer Weg
Der_Fall_Schäfer_Neuer_Weg.mp3 (mp3/803.72 kB)
Die Vernehmung
... erzählt die ganze Geschichte
In Mediasch, wohin die Auswandererfamilie zugeteilt wurde, konnte Adam Schäfer zunächst nicht als Weber arbeiten, sondern in Taglohn, er schnitt Weizen und half dreschen, weil er noch keinen Webstuhl hatte. Für eine Arbeitserlaubnis als selbstständiger Webermeister hätte er erst 3 Jahre hindurch gesellenweise arbeiten müssen. In Mediasch erlitt die Familie einen zweiten Schicksalsschlag: am 3. August 1847 starb auch das zweite Kind an der Abzehrung. Nach nur fünf Wochen Aufenthalt in Mediasch und 8 Tage nach dem Tod unseres Kindes verließ das Auswandererehepaar die Stadt an der Großen Kokel und ließ sich in Enyed nieder. Es hatte sich herumgesprochen, dass es dort Arbeit gebe und dass man dort auf keinerlei Schwierigkeiten stößt, weil dies eine Freistadt sei.
Tatsächlich erwies sich der Umzug als eine gute Entscheidung, der Weber fand dort gleich nach seiner Ankunft einen Webstuhl und Arbeit genug. Die geringe Anzahl von Webern in der Stadt und das weite Absatzgebiet im Siebenbürgischen Erzgebirge sicherte ihm einen ganz guten Lohn.Vernehmungsprotokoll, Oberamt Böblingen, 23. Juni 1851 (StAL F 157, Bü 99i)
Vernehmungsprotokoll, Oberamt Böblingen, 23. Juni 1851 (StAL F 157, Bü 99i)
Vernehmungsprotokoll, Oberamt Böblingen, 23. Juni 1851 (StAL F 157, Bü 99i)
Vernehmungsprotokoll, Oberamt Böblingen, 23. Juni 1851 (StAL F 157, Bü 99i)
Vernehmungsprotokoll, Oberamt Böblingen, 23. Juni 1851 (StAL F 157, Bü 99i)
Vernehmungsprotokoll, Oberamt Böblingen, 23. Juni 1851 (StAL F 157, Bü 99i)
Fremd geblieben ohne wirkliche Heimat: Die Vernehmung Teil 1
Der_Fall_Schäfer_Vernehmung1.mp3 (mp3/654.33 kB)Fremd geblieben ohne wirkliche Heimat: Die Vernehmung Teil 2
Der_Fall_Schäfer_Vernehmung2.mp3 (mp3/339.63 kB)Fremd geblieben ohne wirkliche Heimat: Die Vernehmung Teil 3
Der_Fall_Schäfer_Vernehmung3.mp3 (mp3/1.17 MB)Fremd geblieben ohne wirkliche Heimat: Die Vernehmung Teil 4
Der_Fall_Schäfer_Vernehmung4.mp3 (mp3/907.39 kB)
Das Ende des langen Weges
Wegen der Aussagen im Vernehmungsprotokoll hatte sich die frühere Vermutung, dass die Rückwanderin in Siebenbürgen das Heimatrecht erhielt, nicht bestätigt.
Die Beschreibung des Aufenthaltes mit den häufigen Wohnortwechseln ließ auch Zweifel aufkommen, ob die Schäfers das siebenbürgische Heimatrecht überhaupt wollten, zumal es für sie auch gar keine Vorteile gebracht hätte.
Das Oberamt sah sich darin bestätigt, dass die Stadt Sindelfingen der Witwe Schäfer und ihrem Kinde das Heimatrecht nicht verwehren kann, auch weil sie selbst für ihre Existenz bezahlen kann und keine öffentliche Unterstützung braucht.
Es entschloss sich daher für eine "heimatliche Zuteilung" der beiden Heimkehrer — Mutter und Kind —, vorausgesetzt der Sindelfinger Gemeinderat hat keine Gründe, den Aufenthalt zu verwehren. Der Gemeinderat hatte jetzt keine Einwände mehr gegen eine "heimatliche Zuteilung" der Rückwanderer. Der lange Weg war geschafft.Das Oberamt Böblingen an den Gemeinderat zu Sindelfingen am 27. Oktober 1851 (StAL F 157, Bü 99i)
Vernehmungsprotokoll, Oberamt Böblingen, 23. Juni 1851 (StAL F 157, Bü 99i)
Fremd geblieben ohne wirkliche Heimat: Das Ende Teil 1
Der_Fall_Schäfer_Ende1.mp3 (mp3/633.51 kB)Fremd geblieben ohne wirkliche Heimat: Das Ende Teil 2
Der_Fall_Schäfer_Ende2.mp3 (mp3/848.61 kB)