Vorwort



Von INES OBERLING (Westfälisches Archivamt) und VOLKER TRUGENBERGER



Im Rahmen seiner Recherchen über Zwangsarbeit in der Stadt Düsseldorf stieß Joachim Schröder im Frühjahr 2000 in einer Abteilung der Kriegsopferfürsorgestelle (Service des Victimes de la Guerre, 31, Square de l'Aviation, B-1070 Bruxelles) im belgischen Gesundheitsministerium (Ministère de la Santé Publique) auf einen bemerkenswerten Bestand zu NS-Zwangsarbeiterlagern in Deutschland. Dieser ist das Ergebnis einer nach dem Zweiten Weltkrieg zu Versorgungs- und Repatriierungszwecken systematisch durchgeführten Recherche des Belgischen Nationalen Suchdienstes BNTB nach Aufenthalt und Verbleib belgischer Staatsangehöriger. Die mit dieser Aufgabe betrauten belgischen Verbindungsoffiziere in Deutschland stellten unter anderem auch Nachforschungen nach "Gefängnissen und zweifelhaften Lagern" an (Enquête sur les prisons et les camps douteux). Auf diese Weise entstanden Unterlagen über Lager und Unterkünfte in Form von Fragebögen, Listen und dazugehöriger Korrespondenz, die vor allem die Britische Besatzungszone betreffen. Für 124 Städte und Regionen sind darüber hinaus weitere wichtige Informationen über Lager ausländischer Arbeitskräfte im so genannten "Vorläufigen Bericht" des belgischen Suchdienstes enthalten, der 23 Ordner umfasst und ebenfalls im Archiv des Service des Victimes de la Guerre verwahrt wird.

Die Landschaftsverbände Westfalen-Lippe und Rheinland initiierten im Sommer 2000 wegen des hohen Quellenwertes die Verfilmung der genannten Unterlagen auf Mikrofiches. Denn der verfilmte Bestand vermag in Einzelfällen den bisherigen Kenntnisstand der Forschung in erheblichem Maße zu ergänzen. Gerade für kleinere Kommunen kann er unter Umständen erste Hin- und Nachweise der Existenz von Zwangsarbeitern geben und zu kontinuierlicher Weiterforschung anregen. Allerdings belegen die von den Belgiern zusammengetragenen Dokumente oftmals nicht einmal alle bereits bekannten Lager. Da die Kriterien für die Klassifizierung als Fremdarbeiterlager von den belgischen Behörden zudem nicht eindeutig festgelegt worden waren, ist hinsichtlich der Lagererfassung eine quellenkritische Hinterfragung vonnöten: Nicht nur die klassischen (Groß-)Lager wie Fremdarbeiter-, Arbeits- und Konzentrationslager wurden in den Fragebögen fixiert, sondern auch Haushalte, Gastwirtschaften oder Bauernhöfe, die Fremdarbeiter beschäftigten. Dabei spiegeln die in der Nachkriegszeit mit einem zeitlichen Abstand erstellten Bögen lediglich eine Momentaufnahme wider, die Dynamik des Lagerwesens (Art und Lagergröße, Zusammensetzung und Behandlung der Insassen usw.) wird dabei außer acht gelassen.

Bei der Sichtung der Filme stellte sich heraus, dass sich in dem verfilmten Material auch Unterlagen zu Lagern im heutigen Baden-Württemberg befinden. Zum einen sind diese Unterlagen Bestandteil eines Mischbestandes, der in vier Aktenordnern Nachträge und in vier Aktenordnern Anhänge zu den Zusammenstellungen der Camps douteux (zweifelhafte Lager) und der Camps terminés (abschließend festgestellte Lager) enthält und im Wesentlichen aus Akten und Handakten des belgischen Verbindungsoffiziers Lechat besteht. Zum anderen sind unter den Städten des "Vorläufigen Berichts" mit den Lagerkomplexen Reutlingen-Betzingen, Wasseralfingen, Überlingen, Ellwangen, Bietigheim, Esslingen-Mettingen, Stuttgart, Mannheim und Baden-Baden auch neun Städte in Baden-Württemberg vertreten.

Das Staatsarchiv Sigmaringen erwarb für seine Sammlungen 2001 vom Westfälischen Archivamt Rückvergrößerungen derjenigen Seiten der Mikrofiches, die möglicherweise baden-württembergische Orte betreffen. Diese über 900 Seiten im Umfang von 0,1 lfd. m wurden im Staatsarchiv dem Bestand Sammlungen T 1 zugeordnet (Bestellnummer: Sa T 1 Nr.24/14), in Unterfaszikel untergliedert und im vorliegenden Findmittel verzeichnet.

Um die kopierten Unterlagen in ihrem Zusammenhang sowohl in dem Brüsseler Archiv des Service des Victimes de la Guerre als auch auf den Mikrofiches des Westfälischen Archivamts rasch wiederfinden zu können, bilden die einzelnen Mikrofiches jeweils eine Verzeichnungseinheit und deren genaue Signatur, die die Struktur der Originalunterlagen widerspiegelt, den Titel der einzelnen Titelaufnahmen. Wenn eine Sinneinheit sich über zwei Mikrofiches erstreckt, wurden dementsprechend zwei Unterfaszikel gebildet und zwei Titelaufnahmen gefertigt. Mit Enthält-Vermerken wird die Verzeichnungseinheit inhaltlich genauer erschlossen. Die Ortsidentifikation erfolgt in den Titelaufnahmen nach den im Zweiten Weltkrieg geltenden Verwaltungszugehörigkeiten, im Index nach dem aktuellen Stand.

Bei der genauen Identifizierung der in den Unterlagen genannten Orte wurde festgestellt, dass einzelne homonyme Ortsnamen nicht die jeweiligen baden-württembergischen Orte betreffen, sondern Orte in Hessen und Bayern. Im Übrigen wurden dabei auch die Schwierigkeiten offensichtlich, die die belgischen Offiziere gehabt hatten, auf Grund von mündlichen oder handschriftlichen Angaben belgischer Zwangsarbeiter Orte in einem fremden Land richtig zu identifizieren. Dies zeigen falsche Verwaltungszuordnungen ebenso wie Verschreibungen (Berdingen statt Derdingen, Fleningen statt Flehingen, Lindelfingen statt Sindelfingen).

Die Benutzung der Kopien unterliegt den Bestimmungen des Landesarchivgesetzes Baden-Württemberg, d.h. bei personenbezogenen Unterlagen gelten die dort festgelegten Sperrfristen und Regelungen für eine Verkürzung der Sperrfristen.

Sigmaringen, im Dezember 2001
Dr. Volker Trugenberger



Weiterführende Literatur


INES OBERLING: Die Verteilung des verfilmten Bestandes aus dem Brüsseler Archiv des Service des Victimes de la Guerre in Westfalen-Lippe. In: Zwangsarbeit in Deutschland. Archiv- und Sammlungsgut, Topographie und Erschließungsstrategien. Hg. von WILFRIED REININGHAUS und NORBERT REIMANN. Bielefeld 2001. S.186-189.

JOACHIM SCHRÖDER: Überraschender Fund umfangreicher Zwangsarbeiterlager-Listen im Archiv des Service des Victimes de la Guerre in Brüssel. In: Der Archivar 53 (2000) Sp.354-357.

JOACHIM SCHRÖDER: Aktenbestände im Archiv des Service des Victimes de la Guerre in Brüssel. Die "Enquête sur les prisons et les camps douteux". In: Zwangsarbeit in Deutschland Archiv- und Sammlungsgut, Topographie und Erschließungsstrategien. Hg. von WILFRIED REININGHAUS und NORBERT REIMANN. Bielefeld 2001. S.176-185.